Saatgut als Gemeingut


Saatgut als Gemeingut

Die neue Open-Source Saatgutlizenz von Agrecol bietet eine Alternative zur wachsenden Privatisierung und Monopolisierung von Saatgut. OpenSourceSeeds – ein neuer Dienstleister – unterstützt Pflanzenzüchter, Saatgutvermehrer und Landwirte dabei, neu entwickelte Sorten vor Patentierung zu schützen, als Gemeingut zu nutzen und auch als solches zu erhalten. OpenSourceSeeds (OSS) ist eine europäische Initiative mit Sitz in Deutschland und hat im April 2017 die Arbeit aufgenommen.

Warum ist eine Open-Source Saatgutlizenz wichtig?

Über viele Jahrtausende galt das Saatgut unserer Kulturpflanzen als Gemeingut („Commons“). Inzwischen dominieren große private Züchter den Saatgutmarkt. Zwar nutzen auch sie frei verfügbares genetisches Material z.B. aus Genbanken, jedoch verhindern sie insbesondere durch Patente oder Sortenschutz, dass neue Sorten für züchterische Weiterentwicklung frei genutzt werden können. So wird der öffentlich verfügbare Zuchtfortschritt immer kleiner, und die schleichende Privatisierung schmälert die genetische Vielfalt erheblich. Dies ist ein Problem für freie kleinere und mittelständische Züchter, da sie immer weniger frei verfügbares Pflanzenmaterial für ihre Züchtungsarbeit bekommen. Dies gilt auch für Landwirte, die nach speziellen Sorten für ihre Standorte und Produktionsmethoden suchen. Benötigt wird stattdessen eine große Vielfalt von Sorten, um den verschiedenen Standortbedingungen – auch den schwierigen – gerecht zu werden. Ebenso braucht es genetisch vielfältige Sorten für die ökologische Landwirtschaft, und nicht zuletzt um die Landwirtschaft an den Klimawandel anzupassen. Dafür ist Saatgut als Gemeingut unverzichtbar. Denn frei zugängliches Saatgut ermöglicht eine dezentrale und diversifizierte Züchtungsarbeit. Diese kann wirksam zu Vielfalt und Resilienz der Landwirtschaft und zur zukünftigen Ernährungssicherung beitragen.

Was ist anders, wenn Saatgut open-source lizensiert wird?

Während Sorten durch geistige Eigentumsrechte fast lückenlos rechtlich abgesichert werden können, genießt Saatgut als Gemeingut bisher kaum einen Rechtsschutz. Mit der Open-Source Saatgutlizenz ist dieser Schutz nun möglich. Dabei kann eine Sorte auch mit Open-Source Lizenz regulär registriert und vermarktet werden, aber die Lizenz schließt exklusive geistige Eigentumsrechte am Saatgut wie Patente und Sortenschutz aus.

Für Züchter die bereits heute auf solche Exklusivrechte verzichten, bot sich bislang nur an, neue Sorten uneingeschränkt zu verbreiten, die dann von jedermann genutzt werden können. Diesen Weg wählen die meisten zivilgesellschaftlichen Züchtungsinitiativen, die sich für Sortenvielfalt im Ökolandbau oder für Biodiversität einsetzen. Gemeingüter werden also geschaffen, können so aber nicht vor „Privatisierung“ geschützt werden.

Hier setzt die Lizenz an. Wer OSS-lizensiertes Saatgut nutzt, sei es für Nachbau oder für weitere Züchtung, darf das daraus entstehende genetische Material auch nur mit derselben Lizenz weitergeben („Viralität“ der Lizenz). So lässt sich verhindern, dass – wie bei ungeschützten Sorten praktiziert – das genetische Material verändert und dann mit Patenten oder mit Sortenschutz belegt wird und damit seinen Status als Gemeingut verliert. Damit bietet sich die OSS-Lizenz auch für öffentlich geförderte Züchtung an: Mit öffentlichen Geldern werden dann Gemeingüter nicht nur geschaffen, sondern auch geschützt. Die Lizenz mit ihrer Funktionsweise wird auf der Webseite von OpenSourceSeeds ausführlich erläutert.

Warum steht Agrecol hinter dieser Initiative?

Seit 2012 arbeitet eine Arbeitsgruppe von AGRECOL – bestehend aus Agrarwissenschaftlern, Juristen und Pflanzenzüchtern – daran, das Open-Source-Prinzip auf das Saatgut landwirtschaftlicher Kulturpflanzen zu übertragen, um so Saatgut als Gemeingut zu schützen, dies vor dem Hintergrund ähnlich gerichteter Entwicklungen in anderen Sektoren. In diesem Entwicklungsprozess wurde deutlich, dass es mit der Lizenz allein nicht getan ist – darum herum braucht es neben neuen Lösungen für die Züchtungsfinanzierung auch verschiedene Service- und Vernetzungsaktivitäten. Deshalb entstand das Konzept einer OSS-„Dienstleisters“, der im Moment noch beim Agrecol e.V. angegliedert ist . Auf www.opensourceseeds.org können nun der Lizenztext und alle Informationen zur Initiative eingesehen, bisher lizensierte Sorten erkundet und neue Sorten zur Lizensierung eingetragen werden.

Agrecol hat nicht vor, Träger des Lizenz-Dienstleisters OpenSourceSeeds zu bleiben – es soll mittelfristig ein geeigneter europäischer Träger gefunden werden, der diese Initiative kompetent vertreten kann. Bis dahin unterstützt der Verein die Entwicklungsphase und verwaltet die damit verbundenen Projekte. Da die Lizenzierung kostenlos ist, hat der Verein hier auch kein wirtschaftliches Interesse. Klar ist auch, dass die Lizenz kein Allheilmittel gegen die Verwerfungen im globalen Saatgutsektor sein kann.

Wir möchten, dass Pflanzenzüchtung die Entwicklung einer vielfältigen, standortangepassten Landwirtschaft unterstützt, welcher sich unser Verein verschrieben hat. Wir möchten, dass Bauern weltweit Saatgut uneingeschränkt nutzen, weiterentwickeln und damit bewahren können. Agrobiodiversität liegt im öffentlichen Interesse; dem laufen Patentierung und Sorteneigentumsrechte zuwider. Ziel muss daher sein, Züchtung sinnvoll darauf auszurichten – Rechtsrahmen, Finanzierung und die Verteilung der Verantwortlichkeiten eingeschlossen.

Webseite: https://www.opensourceseeds.org/

Für den Vorstand des Agrecol e.V.

Jochen Currle und Susanne Hofmann-Souki

www.agrecol.de

info@agrecol.de