Konsequenzen von TTIP und CETA für die bäuerliche (ökologische) Landwirtschaft, Umwelt- und Verbraucherstandards sowie für den Handel mit Entwicklungsländern
Agrecol Herbsttreffen 2015 vom 06.-08. November 2015 in der Jugendherberge Mainz
Das Programm umfasste folgende Themen:
- Einführung in die Diskussion um TTIP / CETA und die Hauptthemen der öffentlichen Auseinandersetzung
- Aktueller Verhandlungsstand und Perspektiven für die weiteren Verhandlungen mit Bezug zur bäuerlichen und ökologischen
- Landwirtschaft und den Verbraucherschutz, einschließlich ausgewählter Standards, Normen und Regelungen
- Bedeutung von TTIP / CETA für die Länder des Südens und die künftige Gestaltung des Handels zwischen der EU und den
- Entwicklungsländern
- Chancen und Risiken durch TTIP / CETA für die mittelständische Wirtschaft am Beispiel der Weinwirtschaft von Rheinland-Pfalz
- Folgerungen aus den Perspektiven von TTIP / CETA für die künftige Arbeit von Agrecol und die Teilnehmer des Herbsttreffens persönlich.
Mit 22 Teilnehmern war das Agrecol-Herbsttreffen zum Thema TTIP und CETA gut besucht. Das Thema des Workshops fokussierte auf „Konsequenzen von TTIP und CETA für die bäuerliche (ökologische) Landwirtschaft, Umwelt- und Verbraucherstandards sowie für den Handel mit Entwicklungsländern“. Entsprechend komplex und anspruchsvoll war das Programm des Wochenendes in der Mainzer Jugendherberge.
Das Vorbereitungs-Team, bestehend aus Gérard Anger, Doris Günther und Matthias Görgen, hat sich tief ins Thema hineinbegeben und es aus vielen verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Gleich am Freitagabend wurde erörtert, wie viele Bereiche unseres Lebens – und das der Menschen in den Ländern des Südens – von diesen beiden großen Handelsabkommen berührt werden. Am Sonnabend und Sonntag folgten dann weitere Präsentationen von Matthias, Doris und externen Referenten, und es ergaben sich interessante Diskussionen. Gérard war leider am Freitag erkrankt und konnte nicht am Treffen teilnehmen, eine große Enttäuschung. Seine Expertise war jedoch immer wieder im Hintergrund spürbar.
Die Fülle an neuen Informationen ist hier unmöglich wiederzugeben, einige Ausschnitte sollen genügen:
Es war zugegebenermaßen schwer, unvoreingenommen ans Thema heranzugehen, da wir davon ausgingen, dass die Abkommen für die kleinbäuerliche Landwirtschaft eher negative als positive Auswirkungen haben würde. Und tatsächlich gestaltete sich die Suche nach dem Positiven eher mühsam. Wer gewinnt mit TTIP? In erster Linie – hörten wir in der Präsentation von Tobias Reichert (Germanwatch) – sind das die großen Spieler auf der Welthandelskarte: Multinationale Unternehmen wie BASF, Autokonzerne u.a. würden profitieren, ebenso große Lebensmittelketten, insbesondere Discounter, welche auch jetzt schon stark am Markt in den USA vertreten sind. Die großen Unternehmen hoffen, dadurch Umweltstandards auch im EU-Markt senken zu können und bei zukünftiger Gesetzgebung mehr mitreden zu können. Für kleinere und mittlere Unternehmen fänden sich jedoch kaum Vorteile – z,B. könnten sie sich ein Schiedsgerichtsverfahren gar nicht leisten oder es würde sich für sie nicht lohnen. Wir hörten interessante Details über den Agrarhandel zwischen der EU und den USA sowie dem „ROW“-„Rest of the world“: EU-Exporte in die USA beispielsweise sind zu mehr als der Hälfte (monetär gesehen) flüssiger Natur: Wein, Schnaps, Bier und Sprudelwasser – wer hätte das gedacht?
Strengere Regeln in der EU sind offenbar ein größeres Hindernis für die USA als Zölle, insbesondere bei Fleisch und Milchprodukten. Die geschätzte Wirkung nicht-tarifärer Handelshemmnisse (also von Standards usw.) ist bei Agrarprodukten größer als bei anderen Handelsgütern. Allerdings darf dabei nicht vergessen werden, dass viele private Standards – seien es Grenzwerte für Pestizidrückstände, GlobalGAP oder Fair Trade-Standards – eher unabhängig von geltenden Gesetzen vereinbart werden, nämlich zwischen den Handelspartnern direkt. Lieferanten und Produzenten müssen in der Regel solche privaten Standards einhalten, wenn sie an den Einzelhandel liefern wollen. Hier ist es wahrscheinlich, dass die Einzelhändler ihre hohen Standards beibehalten wollen aus Angst vor Skandalen und Konsumentenschwund. Denkbar ist, dass große Verarbeiter vorpreschen und für eine strenge Kennzeichnung stimmen, die dann z.B. bei GVO nicht einmal von Ökoproduzenten eingehalten werden kann, sodass am Ende überall draufsteht, dass GVOs enthalten sind, auch bei Bio etc.
Beim Abschätzen der Wirkungen von TTIP kommen unterschiedliche Studien offenbar zu verschiedenen Ergebnissen, je nachdem, welche Annahmen zugrunde gelegt werden. Besonders Milch, Getreide und Fleisch würden viel mehr hin und hergeschickt werden – da stellt sich für uns schon die Frage nach dem Sinn dieser Transporte! Bei der Wertschöpfung im Agrarsektor wird offenbar angenommen, dass sie in den USA geringfügig steigt, in der EU geringfügig sinkt, in Deutschland etwas mehr. Der Agrarsektor der USA würde wesentlich mehr profitieren als der Agrarsektor der EU. Umso erstaunlicher ist es daher, dass der Bauernverband für TTIP ist.
Warum TTIP, warum jetzt? – Dafür bekamen wir eine überraschende Erklärung von Tobias Reichert. Offensichtlich ist, dass es Akteure gibt, die die WTO umgehen wollen. Es gibt nun aber Gremien, die extra dafür geschaffen wurden (EU GD Handel…). Die müssen nun irgendetwas tun, wenn die WTO nicht vorankommt. Kurz: Die Leute müssen beschäftigt werden mit etwas Anderem. Außerdem gibt es da noch die Deregulierungsagenda der Kommission (REFIT – wird von Stoiber gemacht, ist Teil der Better-Regulation-Initiative), der bereits jetzt manche Umweltauflagen zum Opfer fallen. So wurde z.B. die Regulierung zur Kreislaufwirtschaft und die Luftreinhalterichtlinie gestrichen. TTIP wirkt in die gleiche Richtung. Pikanterweise ist EU-Kommissar Timmermans zuständig sowohl für Deregulierung als auch für Umwelt!
Beim Thema Schiedsgerichte schließlich, welches Doris uns nahebrachte, gab es viel Kopfschütteln. Manche Vorgänge, die es schon jetzt im Rahmen anderer Abkommen gibt – auch innerhalb der EU – scheinen schier unglaublich. Unverständlich bleibt für uns, warum ein Unternehmen einen Staat verklagen können soll, wenn dieser Gesetze erlässt und dadurch hypothetische Gewinne nicht gemacht werden können. Schließlich sind wechselnde Rahmenbedingungen ja Teil des normalen Geschäftsrisikos. Könnte ein Unternehmen etwa Konsumenten verklagen, weil sie seine Produkte am Ende nicht kaufen? Und wen sollte die Bäuerin verklagen, wenn es nicht regnet und sie deshalb keine Ernte zum Verkaufen hat?
Unglaublich auch, dass die Schiedsgerichte als Geschäft der Wirtschaftsanwälte und sogar die Finanzierung der Schiedsgerichtsverfahren bereits ein eigener Wirtschaftszweig zu sein scheinen, der sich emsig umeinander dreht. Da ist es nicht weit hergeholt, dass dieselben Akteure nun auch bei der Ausgestaltung von TTIP mitreden wollen.
Ein Film über die Auswirkungen des NAFTA gab uns einen Vorgeschmack darauf, welche Verschiebungen sich durch solch umfassende Handelsabkommen ergeben können. Bedrückend hier, wie viele Kleinbauern ihre Selbständigkeit verloren. Ob dies auch ohne NAFTA so gekommen wäre, darüber können wir natürlich nur spekulieren. Der Blick auf frühere Handelsabkommen zeigt auch, dass Transparenz in den Verhandlungen im Vorfeld absolut ungewohnt ist für die Unterhändler. Normal ist offenbar, mehrere Jahre im Geheimen zu verhandeln und erst nach dem Beschluss den Text zu veröffentlichen. Zu TTIP und CETA jedenfalls hat sich nicht nur seitens der Zivilgesellschaft Widerstand formiert, sondern inzwischen auch eine KMU-Initiative von Unternehmern verschiedenster Branchen.
Was bewirkt dieser Widerstand? Wegen des „Radaus“ würden jetzt Standards nicht wesentlich gesenkt werden können. Wenn man also jetzt nicht sehr lange wartet, bis alle es vergessen haben, dann wird TTIP nicht stark durchgreifend sein können. Am ehesten wird vereinbart, dass erstmal alles bleibt, wie es ist, einige Zölle abgebaut werden und man sich Möglichkeiten schafft, zukünftig bequemer und mit mehr Mitsprache der Konzerne weitere Vereinbarungen und Regelungen zu treffen. Hier muss dann wohl genau hingesehen werden.
Am Samstagabend bekamen wir in einem Weinrestaurant bei gutem Essen und einigen guten Tropfen einen Einblick in den globalen Weinmarkt und mögliche Veränderungen durch TTIP, dargestellt von Prof. Dr. Hanf (Hochschule Geisenheim). Erstaunt waren wir über manche Zahlen: 2,55 EUR zahlen Konsumenten in Deutschland für einen Liter Wein im Durchschnitt, für Importwein nur 2,27 EUR. Und der Konsum deutschen Weins sinkt relativ zum Importwein. TTIP hätte offenbar eher Auswirkungen auf südeuropäische Weinproduzenten, die in den Norden exportieren – hier stiege die Konkurrenz mit US-amerikanischen Weinen.
Ein Resümee des Sonnabends haben Markus, Lea und Lorenz verfasst. Hier ihre Stichworte dazu:
Am Sonntagmorgen stellte uns Matthias noch die Resolution des EU-Parlaments zu TTIP vor, welche wir doch als recht zahnlos beiseitelegten. Interessanter dann die schon vor TTIP begonnene Arbeit verschiedener NROs zum Alternativen Handelsmandat (ATM). Infos dazu und den Text in Lang- und Kurzfassung gibt es z.B. hier: http://www.attac.de/atm. In dem ATM-Papier fanden wir zahlreiche unserer Ziele wieder, und es stellt sich die Frage, ob Agrecol e.V. als Organisation sich anschließt und es unterzeichnet. Unklar ist uns noch, welche Wirkungen der Text haben kann und wie.
Am Ende dieses intensiven Wochenendes wurden wir dann in kleinen Gruppen auf einen „dream walk“ geschickt, um für uns selbst Schlussfolgerungen aus dem Gehörten zu ziehen. Unten im Bild die Ergebnisse. Diese haben wir anschließend noch ausgetauscht und unsere Eindrücke zum Wochenende miteinander geteilt.
Was schließen wir aus all dem Gehörten: Wie wirkt sich TTIP auf Kleinbauern aus?
Ergebnisse der „Dream walks“ in Kleingruppen
Doris, Gérard und Matthias haben zusätzlich eine Fülle von Materialien zum Thema in einer „Dropbox“ (mydrive) bereitgestellt und zu einem Reader zum Treffen verdichtet. Für Interessierte gibt es einen unkomplizierten Mydrive-Zugang.
Hier der Link: www.mydrice.ch ; Benutzername: AgrecolTTIP ; Passwort: RIESLING ;
der Zugang ist bis zum 25-06-2017 online möglich.
(Text von Susanne Hofmann-Souki, Lorenz Bachmann und Matthias Görgen) – November 2015
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